Mit dem
heutigen Urteil des Gerichts erster Instanz der europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache T-442/03, SIC/Kommission, gibt es erstmals Rechtsprechung zu zentralen Fragen des gemeinschaftlichen Beihilfenrechts im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Wesentlich ist:
- der öffentlich-rechtliche Auftrag muss nicht ausgeschrieben werden
- eine weite Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags ist zulässig
- kommerzielle Tätigkeiten, insbesondere der "Verkauf von Werbeblöcken", sind ebenfalls zulässig
- die Beurteilung, ob der öffentlich-rechtliche Auftrag in qualitativer Hinsicht erfüllt wird, ist Sache des Mitgliedstaates, nicht der Kommission
- die dafür aufgewendeten Kosten sind aber von der Kommission zu prüfen, die sich dabei nicht auf ein unzureichendes nationales Kontrollsystem verlassen darf
Es ist eine lange Geschichte, und sie ist auch mit dem heutigen Urteil wohl noch lange nicht zu Ende: vor 15 Jahren reichte eine
private portugiesische Fernsehgesellschaft (SIC) bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde über staatliche Maßnahmen und Ausgleichszahlungen an die
öffentlich-rechtliche portugiesische Rundfunkanstalt (RTP) ein. Die Kommission untersuchte die Angelegenheit, erhielt weitere zwei Beschwerden der SIC, und erließ dann ohne Einleitung der Vorprüfungsphase eine Entscheidung, die im Wesentlichen zum Ergebnis kam, dass die staatlichen Maßnahmen keine unzulässige Beihilfe darstellen würden. Die SIC erhob Klage vor dem EuG, und mit dem
ersten Urteil des EuG in dieser Sache (10.5.2000, T-46/97) wurde die Kommissionsentscheidung für nichtig erklärt.
In der folgenden
Entscheidung der Kommission vom 15.10.2003 (
pdf), die schon wegen der Ausführungen zu Fragen der Kostenrechnung bei der Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen lesenswert ist, kam die Kommission zum Ergebnis, dass
1. eine staatliche Beihilfe in Höhe von insgesamt 68006 Mio. PTE, die Portugal RTP gewährt hat (das betraf Kapitalzufuhren in den Jahren von 1994 bis 1997, ein im Jahr 1998 vergebenes Darlehen und eine Vereinbarung mit der Sozialversicherung), gemäß Artikel 86 Absatz 2 EG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, da sie zu keiner Überkompensierung der Nettokosten für die RTP übertragenen gemeinwirtschaftlichen Aufgaben geführt habe (Art 1).
2., die Befreiung von Notar- und Eintragungsgebühren und -abgaben, die Zahlung der Übernahme des Netzes für die Ausstrahlung von Fernsehsignalen, die Erleichterungen bei der Zahlung der Netzgebühren, das Protokoll über die Filmförderung, die Begebung von Obligationenanleihen und der Umstrukturierungsplan 1996-2000 keine staatlichen Beihilfen darstellten (Art 2).
Die SIC erhob dagegen Klage vor dem EuG, das mit dem heutigem Urteil in der Rechtssache
T-442/03, SIC/Kommission, Artikel 1 der Entscheidung zur Gänze, und Artikel 2, soweit er sich auf die Befreiung von Notar- und Eintragungsgebühren bezog, für nichtig erklärte.
Die
Befreiung von Notar- und Eintragungsgebühren (für die Umwandlung der Rechtsform in eine Aktiengesellschaft) stellt nach Ansicht des Gerichts eine staatliche Beihilfe dar, jedenfalls aber war die Behauptung der Kommission, dass die Umwandlung für die Durchführung des öffentlich-rechtlichen Auftrags erforderlich gewesen wäre, auf keinerlei Beweis gestützt. "Es ist daher nicht auszuschließen, dass die portugiesische Regierung die RTP aus anderen Gründen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt hat als aus Gründen der ordnungsgemäßen Durchführung des öffentlich-rechtlichen Auftrags." (Wie war das eigentlich mit der Umwandlung des ORF in eine Stiftung? Die Gebührenbefreiung dazu steht in
§ 44 Abs 4 ORF-G).
Zu den von der Portugal Telecom der RTP gewährten
Zahlungserleichterungen schloss sich das EuG der Kommission an: dass die Portugal Telecom staatlich kontrolliert war, reicht - ohne Feststellung, dass der Staat auch tatsächlich Einfluss auf die Entscheidung genommen hat - nicht aus, die gewährten Zahlungserleichterungen als staatliche Beihilfe zu qualifizieren.
SIC hatte auch geltend gemacht, dass Portugal verpflichtet gewesen wäre, die Erbringung des öffentlich-rechtlichen Auftrags auszuschreiben und nicht einfach die RTP damit hätte beauftragen dürfen. Diesem Argument schließt sich das EuG ausdrücklich nicht an:
"weder aus dem Wortlaut von Art. 86 Abs. 2 EG noch aus der Rechtsprechung hierzu ergibt [sich], dass eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse einem Wirtschaftsteilnehmer nur nach Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens übertragen werden kann." (Rz 145)
Wieweit die bei Fehlen einer Ausschreibung nach der
Altmark-Rechtsprechung notwendige Überprüfung der Höhe der Ausgleichszahlung "nach dem Kriterium eines durchschnittlichen, gut geführten und angemessen ausgestatteten Unternehmens" gehen würde, konnte das Gericht unbeantwortet lassen, da die disbezügliche Rechtsrüge zu spät erhoben wurde und daher unzulässig war.
Das EuG konzediert den Mitgliedstaaten, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das
Amsterdamer Protokoll und die
Entschließung des Rates und der Mitgliedstaaten vom 15.1.1999, ein weites Ermessen bei der Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der auch durch Werbung finanziert werden kann (vgl insb Rz 195-204):
"Nach alledem ist unbestreitbar, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Bereich des Rundfunks so zu definieren, dass diese ein breit gefächertes Programmangebot umfassen, wobei dem Erbringer der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse die Ausübung kommerzieller Tätigkeiten wie der Verkauf von Werbeblöcken gestattet ist."
Die
"mit subjektiven Elementen behaftete Beurteilung des qualitativen Niveaus des öffentlich-rechtlichen Fernsehens" (!) ist eine nationale Angelegenheit; aber:
"...es gibt daher keinen Grund dafür, dass eine weit definierte Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Bereich des Rundfunks, für die von der Einhaltung dieser qualitativen Anforderungen abgesehen wird zugunsten eines Verhaltens eines kommerziellen Betreibers, das in einer speziell darauf ausgerichteten Programmgestaltung besteht, ein aus der Sicht der Werbeträger optimales Publikum zu gewinnen, vom Staat weiterhin zu denselben Bedingungen finanziert wird, wie wenn die qualitativen Voraussetzungen eingehalten würden."
Eine andere Frage ist allerdings die
"administrative und buchhalterische Ehrlichkeit" bei den Kosten, die für die gemeinwirtschaftliche Leistung aufgewendet werden. Hier hätte die Kommisison genauer nachprüfen müssen und sich nicht auf einen nicht extern geprüften Bericht über die gemeinwirtschaftlichen Leistungen verlassen dürfen - dies führte zur Aufhebung des Art 1 der Kommissionsentscheidung.
PS: Aus aktuellem Anlass für Österreich vielleicht interessant: ein Rechnungshofbericht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter ist für die Beihilfenprüfung der Kommission (nur dann) relevant, wenn die Kommission davon Kenntnis hat (vgl die Rz 170-172 und 185-193).PPS: Der Vollständigkeit halber: es gab in der Sache SIC/Kommission noch drei weitere Klagen wegen Untätigkeit der Kommission; eine wurde nach Erlassung der ersten Kommissionsentscheidung zurückgezogen, zwei wurden durch Urteil vom 19.2.2004, T-297/01 udn T-298/01, für in der Hauptsache erledigt erklärt]Labels: Beihilfen, EuG, Portugal, PSB, Rundfunkrecht, SIC