Seit Jahren gibt es in Österreich keinen Presserat mehr (siehe dazu schon
diesen Blogbeitrag vom Februar 2007). Nun - nach den spektakulären Kriminalfällen und den damit offenbar untrennbar verbundenen Entgleisungen in der Berichterstattung einiger österreichischer Medien - gibt es wieder einmal einen Anlauf, eine Selbstregulierungseinrichtung der Presse (oder aller Medien?) einzurichten. Die
Initiative Qualität im Journalismus beurteilt die Chancen auf einen "Presserat neu" als "gut wie lange nicht" und
lädt zu einer Diskussion am Dienstag, 27. Mai, 18.30 Uhr, in den Räumen der Austria Presse Agentur (1060 Wien, Laimgrubengasse 10).
Was es nun bald ein Jahr lang angeblich gegeben hat, war die sogenannte "
Leseranwaltschaft", eine Einrichtung, die
zuletzt sogar von ihrem "Ehrenvorsitzenden" als "sinnlos" bezeichnet wurde. Dem kann man schwer widersprechen: außer
schönen Bildern von fünf irgendwie an der Leseranwaltschaft beteiligten Menschen (wer Vorsitzende/r ist, wie die Aufgabenteilung ist, oder überhaupt nach welchen Regeln die "Leseranwaltschaft" allenfalls arbeitet, lässt die Website im Dunkeln), einem
Link zum Ehrenkodex der österreichischen Presse (aktuelle Fassung 21.1.1999) und einer
leeren Seite, auf der die - offenbar bislang nicht getroffenen - "Entscheidungen" der Leseranwaltschaft zum Download bereitstehen sollten, ist jedenfalls im Web nichts zu finden von der Leseranwaltschaft. Gern hätte ich Zahlen mitgeteilt, in wievielen Fällen die Leseranwaltschaft tätig geworden ist: aber leider antwortet die Leseranwaltschaft nicht auf meine entsprechenden Anfragen (vom 29.3.2008, Urgenz vom 29.4.2008).
Elisabeth Horvath, der nach der
Website die Funktion einer "Clearingstelle" zukommt,
berichtete letzten Oktober unter anderem Folgendes:
"Jede zweite oder dritte Woche gibt es einen Fall, wo ich mir denke, dass wir eigentlich selbst tätig werden müssten, denn von den LeserInnen kommt nichts, zumindest nicht zu uns."
"Wenn es Gravierendes gegen den journalistischen Ehrenkodex gibt, und man einigt sich zwischen der Anwaltschaft und dem Medium, dann veröffentlichen wir das Resultat auf unserer Homepage (www.leseranwalt.at), bzw. auch über OTS."
Also offenbar gab es bisher nichts Gravierendes, oder - wohl eher - man einigte sich nicht mit dem Medium. Die "Leseranwaltschaft" wird übrigens -
laut Horvath - vom
Verein der Chefredakteure finanziert, dessen Obmann Claus Reitan ist, bis vor kurzem Chefredakteur der Zeitung "
Österreich". Reitan steht natürlich, wie das anlässlich seiner kürzlich erfolgten Bestellung zum Chefredakteur der
Furche von der Geschäftsführerin des Verlags betont wurde, "in hohem Maß für ethische Verantwortung" (doch, das war wohl ernst gemeint, wahrscheinlich genauso ernst wie die Einrichtung der "Leseranwaltschaft").
PS: Full Disclosure/persönliches Interesse: ich habe am 28. Dezember 2007 eine Beschwerde an die Leseranwaltschaft wegen einer - nicht mich persönlich betreffenden - Verletzung des Ehrenkodices gerichtet, auf die ich am 15. April 2008 die Antwort bekommen habe, dass die Leseranwaltschaft "ein wertendes Statement im Sinne einer Presserats-Erklärung" nicht abgeben könne, da dies "weit über ihre Aufgabenstellung und ihr Mandat hinausginge." Natürlich habe ich dafür das Verständnis, um das ich von der "Leseranwaltschaft" ersucht wurde - schön wäre es freilich auch, wenn Aufgabenstellung und Mandat irgendwo klar zugänglich wären, und nicht andererseits Elisabeth Horvath von der Clearingstelle dieser Einrichtung
sagt:
"die Leser und Leserinnen sollen sich aufregen, wenn die Journalisten gegen den Ehrenkodex verstoßen."Labels: Leseranwaltschaft, Medienrecht, Presserat