Wednesday, February 24, 2010

Vermischte Lesehinweise (5): von der ORF-G-Novelle bis zu Obama über "Sex on TV"

  • Wichtiger, wenngleich etwas anspruchsvoller Lesestoff ist aktuell natürlich die gestern beschlossene Regierungsvorlage zur Änderung unter anderem des KommAustria-Gesetzes und des ORF-Gesetzes (Text, Erläuterungen, Textgegenüberstellung - übrigens ein kleiner erster Kritikpunkt: es fehlt eine Kurzbezeichnung und offizielle Abkürzung, ich werde das daher jetzt einfach mal "Rundfunkrechtsänderungsgesetz" - RufRÄG - nennen). Da für die Gesetzwerdung dieser Regierungsvorlage im Nationalrat eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, wird auch der nun vorliegende Text noch nicht die Endfassung sein, sodass ich zumindest vorerst noch keine weiteren Anmerkungen dazu machen möchte - mit nur einer kleinen, unwesentlichen Ausnahme: ich möchte auf das in Österreich neue Konzept hinweisen, wonach eine Behörde in ihrer Entscheidungspraxis auf die Spruchpraxis einer Selbstregulierungseinrichtung Bedacht zu nehmen hat. In  § 39 Abs 4 KOG in der Fassung der Regierungsvorlage heißt es:
    "Bei der Beurteilung von behaupteten Verletzungen der werberechtlichen Bestimmungen ... ist auf die Spruchpraxis allgemein anerkannter unabhängiger Selbstregulierungseinrichtungen Bedacht zu nehmen."
    Damit kann auch Österreich in eine ähnliche Situation wie Deutschland kommen, wo Entscheidungen von Selbstregulierungseinrichtungen behördliche Aufsichtsmaßnahmen präjudizieren können. So ist vor etwa einem Monat die zuständige Behörde zum Ergebnis gekommen, dass eine Sendung gegen Rechtsvorschriften (Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags) verstoßen hat, konnte diesen Verstoß aber nicht entsprechend sanktionieren, weil die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) "die Sendung vor der Ausstrahlung für das Nachmittagsprogramm freigegeben" hat.
  • Amerikanische Kinder bzw Jugendliche im Alter von 8 bis 18 Jahren verbringen im Schnitt siebeneinhalb Stunden pro Tag mit Unterhaltungsmedien. "And because they spend so much of that time 'media multitasking' (using more than one medium at a time), they actually manage to pack a total of 10 hours and 45 minutes (10:45) worth of media content into those 7½ hours." Das und mehr zum Medienkonsum von Jugendlichen in den USA erfährt man im Bericht GENERATION M2 - Media in the Lives of 8- to 18-Year-Olds der Kaiser Family Foundation (hier weitere Informationen zu dieser Studie). 
  • US-Präsident Obama, damals noch Senator, war im Jahr 2005 Gast eben dieser Foundation, und sprach zum Thema "Sex on TV". Aus dem Transkript seiner Ausführungen erfährt man nicht nur, dass er gerne Sopranos schaute, sondern auch, dass sein Zugang zur Inhaltsregulierung ganz im Zeichen von Newton Minow steht, den er sowohl der Sache nach (broadcasters as trustees of the public airwaves) als auch wörtlich zitiert (mit meinen Minow-Zitaten - zB hier oder hier, bzw im Blog hier - befinde ich mich also nicht in schlechter Gesellschaft). Gesetzgeberischen Lösungen zur Inhaltskontrolle steht Obama skeptisch gegenüber: "it’s very difficult to regulate our way out of this problem. And for those of us who value our First Amendment freedoms – and our freedoms of artistic expression – we wouldn’t want to", sagte er ebenso wie: "Not everything that is important lends itself to legislative solutions." 
  • Heribert Prantl, Leiter der innenpolitischen Redaktion der Süddeutschen Zeitung, wurde am 20.1.2010 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld die Honorarprofessur verliehen (Presseaussendung, Bericht). In seiner Antrittsvorlesung zur Bedeutung der Pressefreiheit (hier auszugsweise veröffentlicht) heißt es - unter der Zwischenüberschrift "Wenn der Staat mit Blaulicht kommt" - zB: "Der Gesetzgeber hat sich angewöhnt, Pressefreiheit gering zu schätzen. Ich frage mich freilich, ob es sich nicht auch der Journalismus angewöhnt hat, sich selber gering zu schätzen. Geht nicht womöglich von der Presse selbst mehr Gefahr für die Pressefreiheit aus als vom Gesetzgeber? Ich glaube: Ja!"
  • Wenn ich schon bei den Vorlesungen bin: auch Alan Rusbridger vom Guardian hat Ende Jänner einen nachlesenswerten Vortrag gehalten: in "Does journalism exist?" schildert Rusbridger, wie die Guardian-Gruppe mit den aktuellen Herausforderungen umgeht. Nach dem Grundatz "be of the web, not simply on the web" lehnt Rusbridger paywalls ab und zeigt, wie der Guardian Enthusiasmus, Fähigkeiten und Kenntnisse seiner Leser nützt, "how - so long as it is open to the rest of the web – a mainstream news organisation can harness something of the web's power. It is not about replacing the skills and knowledge of journalists with (that ugly phrase) user generated content. It is about experimenting with the balance of what we know, what we can do, with what they know, what they can do. ... There is a mutualised interest here. We are reaching towards the idea of a mutualised news organisation." Ein Nachrichtenverein auf Gegenseitigkeit, sozusagen.
    Ein von Rusbridger nochmals erzähltes und für Medienrechtler und PR-Leute besonders lehrreiches Beispiel ist natürlich der Fall Trafigura, der die Möglichkeiten des Zusammenwirkens von klassischem Journalismus und social media zeigt.
    "Again, this started as a piece of conventional reporting ... They uncovered a truly shocking story about a company which had hitherto been comfortably anonymous and which wanted to keep it that way.
    After dumping toxic waste in the Ivory Coast Trafigura was hit with a class action by 30,000 Africans who claimed to have been injured as a result. The company employed Carter-Ruck to chivvy journalists into obedient silence and then, having secured the mother of all super-injunctions, made the mistake of warning journalists that they could not even report mentions of Trafigura in parliament.One tweet and that legal edifice crumbled."

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