Wednesday, November 29, 2006

"Kleinliche Mediengesetze"


Andreas Unterberger, Chefredakteur der Wiener Zeitung, ist mit seinem Herausgeber offenbar zutiefst unglücklich. Herausgeber - das ist nach § 1 Abs 1 Z 9 MedienG, wer die grundlegende Richtung des periodischen Mediums bestimmt - der Wiener Zeitung ist nämlich die Republik Österreich - mit anderen Worten: der Staat.

Und wozu ist dieser Staat eigentlich noch imstande? Nach Andreas Unterberger - in seinem auch mit der APA verbreiteten Kommentar vom 30.11.2006 - bloß dazu,
"mit kleinlichen Mediengesetzen die Ehre von Verbrechern zu schützen; er hat es hingegen nie geschafft, beim ORF einen öffentlichen-rechtlichen Auftrag durchzusetzen, der mehr wert ist als das Papier, auf dem er steht. Statt dessen wird in ORF 1 künftig anstelle der öffentlich-rechtlichen 'Zeit im Bild' auf Unterhaltung gemacht."

Nun könnte man vielleicht der Meinung sein, dass es für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags durch den ORF nicht zwingend erforderlich ist, die Zeit im Bild auf beiden ORF-Kanälen durchzuschalten. Aber nach Auffassung von Herrn Unterberger sollte "der Staat" offenbar sofort veranlassen, dass die ZIB-Durchschaltung nicht abgeschafft wird. (Wenig überraschend ist, dass sich sofort ein Repräsentant des Staates findet, der ähnlicher Meinung ist: siehe diesen Artikel über ein Gespräch mit ÖVP-Klubobmann Molterer in den Salzburger Nachrichten).

Nun, Herr Unterberger wird schon wissen, wie das mit dem Staatseinfluss so ist, denn
"Die Wiener Zeitung steht – ähnlich etwa dem ORF – im Besitz der Republik Österreich."
(so steht es tatsächlich auf der Website der Wiener Zeitung; wahrscheinlich hab ich das mit der Stiftung des öffentlichen Rechts nach § 1 ORF-Gesetz irgendwie falsch verstanden).

Aber was ist nun mit den "kleinlichen Mediengesetzen", mit denen Unterbergers Herausgeber, die Republik, die Ehre von Verbrechern schützt? Wenn ich etwa einen Blick in die letzten paar Hefte von medien und recht werfe, dann finde ich da kaum Verbrecher, aber dafür zB
  • die im Septeber 1993 geborene Jaqueline, die auf das MedienG gestützt Identitätsschutz als Opfer eines Verbrechens geltend macht (OLG Wien, 28.6.2006, 17 Bs 110/06k, MR 2006, 248),
  • den ÖVP-Abgeordneten Mag. Walter T. (OLG Wien 30.1.2006, 18 Bs 239/05m, MR 2006, 187)
  • den "Chefredakteur einer Tageszeitung, in der von ihm verfasste Kommentar und Glossen veröffentlicht werden" (OGH 16.2.2006, 6 Ob 245/04d, MR 2006, 191 - nein, es handelt sich nicht um Andreas Unterberger; die Sache spielt in Graz - die Veröffentlichung ist soweit anonymisiert, dass die sofortige Erkennbarkeit für Zeitungsleser gewährleistet ist)
  • einen Politiker, der nach unbestätigten Gerüchten für sein Penthouse um die Hälfte weniger bezahlt haben soll als andere (OLG Graz 12.12.2005, 10 Bs 308/05b, MR 2006, 128 - nein, wieder stimmt die erste Vermutung nicht: auch hier ist die Veröffentlichung so anonymisiert, dass der betreffende ehemalige Finanzlandesrat eines südlichen Bundeslandes leicht zu erkennen ist)

und noch eine ganze Menge weiterer Menschen, deren Ehre durch das kleinliche Mediengesetz geschützt wird.

Die Zeitung der Republik, in der Herr Unterberger schreibt, fühlt sich übrigens dem Ehrenkodex der Österreichischen Presse (und den kleinlichen Mediengesetzen?) verpflichtet. Dieser Ehrenkodex verlangt zum Beispiel, Pauschalverdächtigungen und Pauschalverunglimpfungen von Personen und Personengruppen unter allen Umständen zu vermeiden.

Der Kommentar von Herrn Unterberger schließt übrigens mit den Worten: "Eine reife Demokratie lebt vom Engagement der Bürger. Und das kann weder auf den Staat noch auf irgendwelche NGO-Vereine postpubertärer Buben und Mädchen abgeschoben werden."

Pauschalverunglimpfung? Wir wollen doch nicht noch kleinlicher sein als die ohenhin schon kleinlichen Mediengesetze!

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