Tuesday, October 14, 2008

Generalanwalt: keine Nichtigkeit der Vorratsdaten-RL

Wurde die Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Daten (RL 2006/24/EG) auf einer geeigneten Rechtsgrundlage erlassen? Diese Frage hat der EuGH aufgrund einer von Irland erhobenen Nichtigkeitsklage zu beantworten. Generalanwalt Bot hat heute in dieser Rechtssache C-301/06 Irland/Rat und Parlament seine Schlussanträge erstattet - und er schlägt dem Gerichtshof vor, die Klage Irlands abzuweisen (siehe dazu auch die Presseaussendung des EuGH).

Die bei der Erlassung der RL 2006/24/EG herangezogene Rechtsgrundlage des Art 95 EG stellt auf "Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben", ab und setzt damit einerseits voraus, dass Unterscheide zwischen den nationalen Rechtsvorschriften bestehen und dass diese Unterschiede andererseits geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auszuwirken; Art 95 kann auch als Rechtsgrundlage herangezogen werden, um der Entstehung neuer Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, doch muss das Entstehen solcher Hindernisse wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken (vgl. RNr. 79 der Schlussanträge).

Generalanwalt Bot stützt sich darauf, dass tatsächlich "einige Mitgliedstaaten" solche Vorschriften erlassen hatten; er stützt sich dabei auf ein Dokument der Kommission, aus dem hervorgeht, dass die Mehrheit - "about 15" (?) - der Mitgliedstaaten keine Vorschriften hatten und in der Hälfte der anderen Staaten die Vorschriften noch nicht wirksam waren. Da die Vorratsspeicherung von Daten finanzielle Belastungen für die Betreiber mit sich bringt, müssten die Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste mangels Harmonisierung unterschiedliche Kosten tragen, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat sie ihre Dienste anbieten möchten. "Solche Unterschiede können Behinderungen des freien Verkehrs elektronischer Kommunikationsdienste zwischen den Mitgliedstaaten darstellen und folglich Hindernisse für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts für die elektronische Kommunikation schaffen." (RNr. 85)

Auch dass "der eigentliche Grund für die Pflicht zur Vorratsspeicherung, die den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste auferlegt wird, darin liegt, dass sie die Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten fördert" (RNr. 92), reicht nach Ansicht des Generalanwalts nicht aus, um den Rechtsakt in den Bereich "Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen" im Sinne des Titels VI des EU-Vertrags einzuordnen und damit "von der ersten in die dritte Säule zu verschieben" (RNr. 98). Die Maßnahmen der RL sehen kein unmittelbares Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden und sind "in einem Stadium vor der eventuellen Durchführung einer Maßnahme der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit anzusiedeln" (RNr. 103). Zusammenfassend zieht der Generalanwalt die Grenzen zwischen erster und dritter Säule so:
"106. Zur Gemeinschaftssäule gehören Maßnahmen, die die Bedingungen harmonisieren, unter denen die Anbieter von Kommunikationsdiensten die Verkehrs- und Standortdaten, die im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit erzeugt oder verarbeitet werden, aufbewahren müssen. ... Der Umstand, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber es für notwendig gehalten hat, die Vorratsspeicherung von Daten wegen der Wirksamkeit dieses Instruments bei der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten vorzuschreiben, genügt nicht, um eine solche Maßnahme aus dem Anwendungsbereich der Gemeinschaftssäule herauszunehmen, da dieses Erfordernis des Allgemeininteresses durch eine Harmonisierungsmaßnahme auf der Grundlage von Art. 95 EG berücksichtigt werden kann. Darüber hinaus ist die Nennung eines solchen Erfordernisses des Allgemeininteresses unerlässlich, um den Eingriff des Gemeinschaftsgesetzgebers in das Recht auf Achtung des Privatlebens der Nutzer von elektronischen Kommunikationsdiensten zu rechtfertigen.
107. Im Gegensatz dazu gehören die Maßnahmen zur Harmonisierung der Bedingungen, unter denen die zuständigen nationalen Strafverfolgungsbehörden Zugang zu den gespeicherten Daten bekommen können, und diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben verwenden und austauschen können, zur dritten Säule. Das unmittelbare Eingreifen solcher Behörden gegenüber privaten Wirtschaftsteilnehmern und die verpflichtende Übermittlung von Daten zu Strafverfolgungszwecken durch diese fällt meiner Ansicht nach in den Anwendungsbereich der 'polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen' nach Titel VI des EU-Vertrags. Denn in diesem Stadium wird die Mitwirkung von privaten Wirtschaftsteilnehmern an einem Vorgang der Strafverfolgung und ihre Zusammenarbeit mit den zuständigen nationalen Behörden in diesem Bereich konkret und sicher."
Generalanwalt Bot räumt ein, dass diese Grenzziehung "sicherlich nicht unumstritten" ist und "in mancher Hinsicht künstlich erscheinen" kann (RNr. 108). Im Ergebnis aber hält er - auch nach einer ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Urteil des EuGH vom 30.5.2006 in der Rs C-317/04 und C-318/04 (Weitergabe von Fluggastdaten an die USA) - fest, dass Art. 47 EU jedenfalls dem EG-Vertrag Vorrang einräumt, wenn eine Maßnahme zwei Komponenten umfasst, die dazu führen könnten, dass sie sowohl in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags als auch des EU-Vertrags fällt (RNr. 134). Die Nichtigkeitsklage Irlands wäre nach dieser Ansicht daher abzuweisen.

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