Wednesday, July 18, 2007

Der Begriff der Kostenorientierung: weitgehend bedeutungs- und wirkungslos?

"Bestimmte Rechtsbegriffe versprechen viel und haben den Anschein, von großem Nutzen zu sein, können aber zu bloßen Worthülsen werden, die weitgehend bedeutungs- und wirkungslos sind. Der Begriff der Kostenorientierung in Art. 3 Abs. 3 der [Entbündelungs-]Verordnung könnte ein solcher Begriff sein."

Diese Überlegungen stellt Generalanwalt Poiares Maduro an den Beginn seiner rechtlichen Ausführungen zu den Fragen, die das VG Köln dem EuGH (Rechtssache C-55/06 Arcor) im Zusammenhang mit der "Entbündelungsverordnung" zur Entscheidung vorgelegt hat.
Die Verordnung (EG) Nr. 2887/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 über den entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss verlangt in ihrem Artikel 3 Abs 3 nämlich, dass sich "die von gemeldeten Betreibern in Rechnung gestellten Preise für den entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss und zu zugehörigen Einrichtungen an den Kosten orientieren" müssen.

In einem Rechtsstreit zwischen der Deutschen Telekom und Arcor, der mit einer Entgeltgenehmigung für den entbündelten Zugang zum Zeilnehmeranschluss durch die damalige deutsche Regulierungsbehörde im März 2001 seinen Ausgang nahm, hat das VG Köln "eine lange Reihe von Fragen" vorgelegt, die "einen ganzen Komplex von Problemen, die sich im konkreten Kontext der vorliegenden Rechtssache im Zusammenhang mit dem Begriff der Kostenorientierung der Preise stellen, sehr umfassend und übergreifend" abdecken (Schwingt da implizite Kritik an deutscher Gründlichkeit bei der Fragenformulierung mit? Es trifft aber nicht nur die Deutschen: auch in den Schlussanträgen zum Vorlagebeschluss des Prager Bezirksgerichts 3 in der Sache C-64/06 Telefónica O2 Czech Republic as war mit leicht kritischem Unterton von der "bunten Vielfalt" der formulierten Fragen die Rede gewesen - siehe hier).

Damit ist der EuGH, wie der Generalanwalt auch ausdrücklich betont, aufgefordert, sich erstmals mit der Auslegung der VO 2887/2000 zu beschäftigen. Diese Verordnung - deren Entstehungsprozess übrigens wesentlich schneller verlaufen ist als jener der Roaming Verordnung, egal was Kommissionsmitglied Viviane Reding diesbezüglich behauptet - ist zwar noch nicht formal aufgehoben, hat aber im neuen Rechtsrahmen keine Bedeutung mehr. Denn nach Art 27 der Rahmenrichtlinie verliert sie im Ergebnis ihre Wirksamkeit nach Abschluss des Marktanalyseverfahrens nach Art 16 der Rahmenrichtlinie, was nun in fast allen Mitgliedstaaten der Fall ist (rechtlich ist die Konstruktion etwas komplexer, für details bitte den Art 27 der RahmenRL nachlesen). Vielleicht gerade deshalb bemüht sich der Generalanwalt erkennbar auch darum, die Bezüge zum neuen Rechtsrahmen deutlich zu machen.

Was lässt sich von den Schlussanträgen hervorheben:
  • Der Begriff der Kostenorientierung ist ein autonomer Begriff des Gemeinschaftsrechts, der einheitlich auszulegen ist (RNr 31-33); bei der Einführung eingehenderer Bestimmungen zur Konkretisierung (Kostenelemente,- methoden und -modelle) haben die Mitgliedstaaten einen gewissen Gestaltungsspielraum (RNr 35-37); Abschreibungen und kalkulatorische Zinsen sind zu berücksichtigen (RNr 43-44).
  • Die Empfehlung der Kommission 2000/417 und die Leitlinien (Mitteilung der Kommission vom 26.4.2000) sind bei der Auslegung zu berücksichtigen (RNr 48).
  • Die Regulierungsbehörden verfügen über einen großen Beurteilungsspielraum (RNr 50), sie haben aber eine Abwägung vorzunehmen zwischen dem "Hauptziel der Verordnung, eine wirksame und umgehende Entbündelung des Zugangs zum Teilnehmeranschluss sicherzustellen und in der Folge den Wettbewerb auf diesem Markt zu fördern" und der möglichen Verhinderung von Investitionen in die Infrastruktur (RNr 51).
  • Die aktuellen (Brutto)Wiederbeschaffungskosten sind nich das Maß der Dinge: es kann gerechtfertigt sein, diese zu unterschreiten (RNr 69): "Es gibt mehrere niedrigere Entgelte, die unter den in Deutschland zum Zeitpunkt der Erteilung der Entgeltgenehmigung herrschenden Gegebenheiten geeignet sein könnten, den Wettbewerb im Ortsnetz zu fördern, ohne von der Investition in alternative Infrastrukturen abzuhalten, und die gleichzeitig dem gemeldeten Betreiber der Verordnung gemäß eine angemessene Vergütung sichern könnten."
  • Die Verwnedung von Bottom-up-Modellen ist zulässig (RNr 77); Ausgangspunkt muss aber das Netz des gemeldeten Betreibers sein (RNr 84); hybride Modelle (Bottom-up und Top-down), wie sie in der aktuellen Kostenrechnungsempfehlung und der ERG Guidelines dazu bevorzugt werden, werden auch in den Schlussanträgen (positiv) hervorgehoben (RNr 77 und FN 43). [Zum Hybridmodell in Österreich siehe übrigens auch schon VwGH 11.12.2002, 2000/03/0190, 25.2.2004, 2002/03/0273, 17.12.2004, 2001/03/0246]
  • Die gerichtliche Nachprüfung der Entscheidungen der Regulierungsbehörde kann sich auf eine Ermessensüberprüfung beschränken (der Generalanwalt verweist ausdrücklich auf die beschränkte gerichtliche Nachprüfung von Entscheidungen der Europäischen Kommission in vergleichbaren komplexen Fällen durch die Gemeinschaftsgerichte (RNr 99).
  • Es wäre nicht vertretbar, nur dem gemeldeten Betreiber, nicht aber auch den Unternehmen, die Zugang zu seinem Netz beantragen, die Anfechtung einer Entgeltfestlegung zu ermöglichen; in diesem Zusammenhang verwiest der Generalanwalt ausführlich auf seine Schlussanträge in der Rs C-426/05 Tele2UTA.
  • Die Beweislast für die Kostenorientierung trägt vor der Regulierungsbehörde der gemeldete Betreiber, in der gerichtlichen Nachprüfung ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Beweisregeln festzulegen.
Trotz der anfänglichen Skepsis, ob der Begriff der Kostenorientierung mehr sein kann als eine bloße Worthülse, kommt der Generalanwalt also doch zu recht konkreten Auslegungsergebnissen. Ob der EuGH dem folgen wird, ist natürlich offen.

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