Saturday, September 19, 2009

Das Leben der Urgroßeltern: kursorische Anmerkungen zur "ORF-Enquete"

Vielleicht habe ich den ORF-Publikumsrat wirklich unterschätzt: der feinsinnig-ironischen Pressemitteilung von zuletzt (siehe dazu hier) folgte nun im Rahmen der parlamentarischen Enquete "Öffentlich-rechtlicher Rundfunk - Medienvielfalt in Österreich" eine Wortmeldung des Vorsitzenden, in der er wörtlich sagte:
"Am Beginn erlauben Sie mir, ein Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzulegen. Zu einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den wir schätzen und den wir ungeteilt erhalten wollen, kurz: zu einem ORF, der unverzichtbarer Teil des Lebens und der Lebensqualität vieler, ja sehr vieler unserer Mitbürger, der Kinder, der Eltern, der Großeltern und in zunehmendem Maß auch der Urgroßeltern geworden ist." (Hervorhebung hinzugefügt)
Feiner hätte man das Problem der Überalterung des ORF-Publikums kaum ansprechen können.

Nicht alle Wortmeldungen waren so nobel zurückhaltend. Ein (nicht: der) Sprecher der sogenannten "Plattform Rettet den ORF" (diese Bezeichnung ist meines Wissens nicht ironisch gemeint, aber ganz sicher bin ich mir nicht), Armin Thurnher, musste gleich zweimal betonen, dass er gar nicht unwichtig ist:
"Wir sind zusammengeschlossen in einer nicht zu unterschätzenden Plattform namens 'PRO ORF', die beinhaltet auch wesentliche Organisationen der Zivilgesellschaft ...
[ich] stelle aber gleichzeitig fest, dass diese Plattform PRO ORF durchaus nicht irrelevant und durchaus kampfeslustig ist." (Hervorhebung hinzugefügt)
Was ist eigentlich aus dem guten alten Grundsatz "show, don't tell" geworden? Wer sich selbst so auffällig versichern muss, dass er gar nicht irrelevant ist, hat es wohl notwendig. Übrigens: die Website von Rettet den ORF könnte auch ein hoax sein: sie liegt noch immer auf einem Schüleraccount des BRG 18 Schopenhauergasse; die letzten Neuigkeiten dort sind vom 12. Mai 2009.
Armin Thurnher wirft außerdem Kommissarin Viviane Reding, die immerhin mehr als zwanzig Jahre lang Journalistin beim Luxemburger Wort war, "grundlegende Unkenntnis der Sachlage" vor, benennt als Ursachen der Medienkrise "Deregulierung, Digitalisierung, Finanzkrise etc." und will, dass die "Gebühren [gemeint wahrscheinlich: Programmentgelte] automatisch an die Preisentwicklung angepasst werden".

Die letztgenannte Forderung ist nach der gegenwärtigen Rechtslage nur dann zu verstehen, wenn man dem ORF und seinen Organen grundlegend misstraut, denn sie bedeutet eine Einschränkung der derzeit gegebenen Autonomie des ORF, das Programmentgelt selbst festzulegen (siehe dazu - und zu anderen Positionen von "Pro ORF" - hier). Aber vielleicht gibt es auch wirklich Grund, den Organen zu misstrauen, denn Stiftungsratsmitglied Brigitte Kulovits-Rupp sagte wörtlich:
"Kurz zum Stiftungsrat, zur Größe des Gremiums: meiner Meinung nach ist es nicht die Größe des Gremiums, die die Handlungsfähigkeit erschwert. Wenn das politische Ziel einiger Protagonisten lautet, das Unternehmen um jeden Preis zum Scheitern zu bringen und das Tun auch danach ausgerichtet wird, dann wird das zu keinem guten Ende führen. Das soll heißen: wenn die Parole lautet: "Blockade", dann wird nie etwas zustandekommen, egal ob das Gremium aus 35, 20 oder 7 Mitgliedern besteht." (Hervorhebung hinzugefügt)
Das kann man wohl nur so verstehen, dass damit "einigen" Stiftungsratsmitgliedern gröbste Pflichtverletzungen vorgeworfen werden, denn mit den Aufgaben eines Stifungsratsmitglieds ist es jedenfalls unvereinbar, das Scheitern des ORF anzustreben. Auch Fritz Wendl, Vorsitzender des ORF-Redakteursrats, hat gewisse Zweifel an der Kompetenz der Stiftungsratsmitglieder. Sein Wunsch:
"Beim Auswahlmodus der Eigentümervertreter sind Voraussetzungen zu schaffen, die sicherstellen, dass nur bestellt wird, wer über fachliche Qualifikation verfügt, nicht bloß Fraktionsvorgaben erfüllt, und nicht in Geschäftsbeziehungen mit dem ORF steht. Das ist im Gesetz zu definieren, da sich seit Jahren zeigt, dass Stiftungsräte/Kuratoren nicht in der Lage oder nicht willens sind zu einer Selbstkontrolle von Unvereinbarkeiten." (Hervorhebung hinzugefügt)
Die bekannten Besserwisser wird er damit vielleicht nicht überzeugen.

Mehr will ich zur Enquete gar nicht schreiben, denn einerseits möchte ich nicht zynisch klingen, andererseits habe ich mir auch noch kein Bild von der Gesamtveranstaltung gemacht, sondern erst stichprobenartig in die vom ORF on demand zur Verfügung gestellte Aufzeichnung hineingehört bzw. -gesehen. Ein Wortprotokoll wird in ein paar Wochen auf der Parlamentswebsite zur Verfügung stehen (hier), inzwischen kann man die Aussendungen der Parlamentskorrespondenz (1, 2, 3) oder zB die Reden von ORF-GD Wrabetz und von VÖZ-Präsident Horst Pirker lesen; der ORF hat auch eine kleine Broschüre publiziert, mit der die Fakten aus seiner Sicht dargestellt werden (nicht immer ganz richtig, etwa in der Aussage "ORF erhält nur zwei Drittel des Programmentgelts").

PS: weil Reden von Generaldirektoren derzeit offenbar Saison haben (siehe zuletzt vom ABC-Chef hier), verweise ich noch auf die Rede von BBC-Generaldirektor Mark Thompson auf der Convention der Royal Television Society in Cambridge, am Tag der österreichischen Parlamentsenquete, in der er gegen das "top-slicing" (Verwendung eines kleinen Teils der licence fee für Nicht-BBC-Angebote) ankämpft.

Update 2.11.2009: Das Wortprotokoll der Parlamentarischen Enquete ist nun online verfügbar

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