Wednesday, February 18, 2009

ORF: Konzept-Recycling

Ohne sofortige und kompromißlose Maßnahmen in fast allen Teilen des Unternehmens droht dem ORF ein ähnliches Schicksal wie anderen großen österreichischen Unternehmen (Stichwort: 'Konsum-Pleite'). Es gilt zu verhindern, daß aus einem Paradeunternehmen in kürzester Zeit ein Sanierungsfall wird. "
In den Unterlagen, die den Mitgliedern des Finanzausschusses des ORF-Stiftungsrates von der ORF-Geschäftsführung zur Vorbereitung für die nächste Sitzung übermittelt wurden, finden sich klare und dramatische Worte. Allein: sie stammen aus einem Text Gerhard Zeilers aus dessen Zeit als ORF-Generalintendant, Titel: "Von der Sendeanstalt zum Multimedia-Unternehmen" (online offenbar nicht verfügbar). Wäre da nicht die alte Rechtschreibung (zB "daß") und der Hinweis auf den Konsum (statt wie derzeit üblich AUA) - wer weiß, ob es den Ausschussmitgliedern überhaupt aufgefallen wäre.

Das Konzept Zeilers wirkt jedenfalls im Vergleich zu dem, was man aktuell so vom ORF hört, gar nicht so antiquarisch: neben den Standards wie "Absicherung der Marktführerschaft", "Sparen in allen Unternehmensbereichen" oder "Existenzsicherung des ORF als eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer neuen Konkurrenzlandschaft" hat Zeiler in diesem Text aus den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts immerhin auch das Thema interaktive Breitbandkommunikation und Internetdienste aufgegriffen (dem aktuellen Programmdirektor des ORF war es dagegen vorbehalten, sich vor kurzem zum Thema Internet etwas skeptischer zu äußern).

Manches kommt einem auch aus einem aktuelleren Dokument bekannt vor, das dem Stiftungsrat laut Zeitungsberichten ebenfalls übermittelt wurde: der Bewerbung des derzeitigen ORF-Generaldirektors um gerade diesen Job. Daher ein kleines Ratespiel zwischendurch: welcher der beiden folgenden Absätze stammt von Wrabetz, welcher von Zeiler? (Auflösung ganz unten)
a) "Die Organisationsstruktur des ORF muss mittel- und langfristig den Notwendigkeiten eines voll im Wettbewerb stehenden Unternehmens entsprechen. Klare Zielsetzungen, schnelle Entscheidungsabläufe, eindeutige Verantwortlichkeiten und eine effizientes Kontrollsystem - so lauten die künftigen Anforderungen an die Organisation."
b) "Um den Erfolg des Unternehmens sicherzustellen, ist die Entwicklung neuer Arbeits- und Organisationsformen erforderlich. Flache Hierarchien, schnelle Entscheidungen, bereichsübergreifendes projektbezogenes Denken und Handeln sind die Grundlage für den machbaren Erfolg des Unternehmens."


Ansonsten hat der Generaldirektor den Finanzausschussmitgliedern (laut APA) noch das Medienkapitel aus dem Regierungsprogramm, die Stellungnahme des ORF zum Rechnungshofbericht und den "neuen deutschen Rundfunkstaatsvertrag" übermittelt (alles Dinge, die man übrigens hier auf diesem Blog schon lange verlinkt fand: zum Regierungsprogramm, zum Rechnungshof, zum 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag).

Die Vorgangsweise, dem Finanzausschuss nur Unterlagen zu übermitteln, die ohnehin schon veröffentlicht sind, steht im völligen Einklang mit der Kommunikationspolitik der ORF-Geschäftsführung gegenüber dem Stiftungsrat, die sogar gegenüber dem Rechnungshof verteidigt wurde. Der Rechnungshof hatte die mangelhaften Finanzvorschauen gerügt, die jeweils nur wenige Seiten umfassten und einen geringen Detaillierungsgrad aufwiesen ("Zum Teil wurden die gesamten Betriebsaufwendungen ohne Unterteilung oder nur in zwei Unterpositionen gegliedert dargestellt."); die Unterlagen für die Sitzungen des Stiftungsrates waren, so der Rechnungshof, oft nicht aussagekräftig und für eine Beschlussfassung nicht geeignet.

Der ORF hielt dem entgegen, es sei darauf Bedacht zu nehmen, "dass zu detaillierte Festlegungen bei der lückenhaften Vertraulichkeit im ORF zu nachteiligen Folgen bei Mitbewerbern, Lieferanten, Öffentlichkeit, Politik, in den Beziehungen zu den betrieblichen Sozialpartnern führen können." Mit anderen Worten: die Geschäftsführung vertraut dem Stiftungsrat nicht, also informiert sie ihn auch nicht genauer. Der Rechnungshof mochte sich mit solcher Argumentation, die auch schon in der Stellungnahme zum Rohbericht vorgebracht wurde, nicht anzufreunden; wörtlich heißt es im Bericht:
"Der RH wiederholte seine Empfehlung, dem Stiftungsrat nachvollziehbare Grundlagen sowie Konzepte für die inhaltliche und zeitliche Umsetzung der konkret definierten Einsparungsmaßnahmen vorzulegen; insbesondere deshalb, weil fast die Hälfte der Erlöse des ORF aus Programmentgelten stammt und daher ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Gebarung des ORF besteht."
Dass der Stiftungsrat mangelhaft informiert ist, hat der Rechnungshof nicht nur der Geschäftsführung vorgeworfen - es muss ja auch jemanden geben, der sich die mangelnde Information gefallen lässt. Wörtlich aus dem Bericht: "Der RH erachtete die Information des Stiftungsrates als unzureichend. Der RH empfahl der Geschäftsführung, den Stiftungsrat umfassend zu informieren, und dem Stiftungsrat, die Überwachung der Geschäftsführung in ausreichendem Maße wahrzunehmen."

PS - Auflösung zum obigen Ratespiel: a) Zeiler (ß-Schreibung angepasst), b) Wrabetz

PPS: in einer ersten Version dieses Beitrags, die ein paar Stunden online war, habe ich das Konzept Zeilers auf Grund eines Versehens auf 1994 datiert, jedenfalls die mir vorliegende Fassung dürfte aber tatsächlich aus 1996 stammen - das habe ich hier nachträglich korrigiert und außerdem den letzten Absatz hinzugefügt.

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